Clau Solèr
In den letzten 150 Jahren war das Rätoromanische in Graubünden zahlreichen Bedrohungen ausgesetzt. Immer wieder wurde versucht, diesen mit sprachpuristischen Bewegungen entgegenzuwirken. Im Zuge der Germanisierung des Kantons Graubünden konnte sich das Romanische nur teilweise als Alltagssprache behaupten. In Verwaltung, Wirtschaft und Technik hat dies, ab 1895, zur Entstehung von linguistisch-patriotischen Vereinigungen geführt, welche von intellektuellen Kreisen gegründet wurden mit dem Ziel, das Romanische zu stärken.
Das Romanische befand sich in dieser Periode zweifellos in einem schlechten Zustand. Sprachliche Neuerungen beruhten vor allem auf Transferenzen aus dem Italienischen und dem Deutschen. Die sprachpuristischen Bewegungen und Vereinigungen versuchten in der Folge, diese Einflüsse zu reduzieren und Entlehnungen aus dem Italienischen und dem Deutschen durch möglichst regionalsprachliche, lautlich ans Romanische angepasste Wörter und Ausdrücke zu ersetzen. Diese Bemühungen trugen allerdings nicht dazu bei, eine überregionale romanische Variante zu entwickeln, zumal die geschriebene romanische Sprache mehr und mehr durch dialektale Formen beeinflusst war.
Irredentismus und Germanisierung
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geriet das Rätoromanische unter politischen Druck. Der italienische Linguist Carlo Salvioni hatte in seinen Studien nachzuweisen versucht, dass das Romanische auszusterben drohe, insbesondere bei den Varianten im Engadin handle es sich um einen alpin-lombardischen Dialekt, der durch das Italienische zu ersetzen sei. Als Beweis führte er unter anderem die zahlreichen Italianismen im Engadinerromanischen an. Peider Lansel hat dem 1913 mit „Ni Italians, Ni Tudais-chs“ entgegengewirkt, seiner programmatischen Sentenz, die er 1917 noch präzisierte: „Ni Italians. Ni Tudais-chs! Romanschs vulains restar». In Nordbünden zeigte sich vor allem der Einfluss des Deutschen und Alemannischen im Romanischen. Die Germanisierung von traditionell romanischsprachigen Gemeinden schritt schnell voran.
Die Sprachpuristen hatten nun ein doppeltes Problem: Sie mussten auf der einen Seite das Romanische erneuern; strukturell bot sich das Italienische an als Quelle für neue Wörter und Ausdrücke, was politisch nicht sehr opportun schien. Auf der anderen Seite war die Deutschschweiz ein bedeutender Bezugspunkt für die Romanen. Dank der besseren Kenntnisse in Hochdeutsch und auch im alemannischen Dialekt drangen immer mehr deutsche Strukturen in die romanische Sprache, was auf den ersten Blick weniger offensichtlich war als Lehnwörter und -ausdrücke.
Als das Romanische 1938 von einer Mehrheit der Schweizer Bevölkerung als vierte Landessprache anerkannt wurde, war das für das sprachliche Bewusstsein von Romanen und Romaninnen psychologisch zweifellos von grosser Bedeutung. Aus sprachlicher Sicht hat es nichts daran geändert, dass zu diesem Zeitpunkt keine überregionale Einheitssprache existierte und eine solche, aus Gründen von Einzelinteressen, auch nicht entwickelt werden konnte. Die regionalen Unterschiede wurden als unüberwindbar angesehen.
Spracherneuerung und Purismus
Heute entstehen sprachliche Neuerungen einerseits spontan, andererseits dank Institutionen wie die Lia Rumantscha oder Radiotelevisiun Svizra Rumantscha. In diesem Zusammenhang können folgende Probleme auftreten: